1. dysplastisch durch eine Fehlbildung, bzw. Anlagestörung
2. vaskulär durch Gefäßerkrankungen, Unterversorgung mit Blut
3. traumatisch durch eine Verwundung, SHT
4. neoplastisch durch eine Neubildung
5. hypoxisch durch Sauerstoffmangel
6. entzündlich durch Viren, Parasiten
7. dementiell durch den Alzheimer Prozess
8. toxisch durch Vergiftung
9. hypoglyämisch durch Unterzuckerung
A Neuropsychologische Störungen
(Autor: Dr. Heinz Hättig)
Das menschliche Gehirn, in seiner
unfassbaren und zugleich wunderbaren Komplexität, ist das Organ unseres
psychischen Lebens und unserer Individualität. Es ist der Träger unseres
Bewusstseins, der Ort unserer Erinnerungen, unser Organ zum Wahrnehmen, Denken,
Fühlen und Handeln. Es arbeitet ständig, bei Tag und im Schlaf, auch wenn uns
nur ein winziger Anteil seiner Leistungen bewusst wird. Auf sein stilles und
verlässliches Funktionieren sind wir angewiesen in allen Bereichen unseres
Lebens. Erkrankungen und Verletzungen des Gehirns können schwere Behinderungen
verursachen und die Führung eines selbständigen Lebens in hohem Maße bedrohen.
Neuropsychologische Störungen sind
Störungen im Verhalten, Wahrnehmen und Erleben die auf Beschädigungen oder
Verletzungen des Gehirns zurückzuführen sind. Sie werden auch als
Hirnfunktionsstörungen bezeichnet und sind bis auf wenige Grenzfälle somit
"hirnorganisch" verursacht.
Im internationalen Klassifikationssystem
für Krankheiten (ICD10) handelt es sich um eine Unterabteilung aus dem Kapitel
"Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F99)" nämlich um das
Kapitel, "Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen
(F00-F09)". Patienten die zur neuropsychologischen Therapie kommen haben
daher meistens eine Diagnose die mit der Kennziffer F.0. ("F-Null")
beginnt. Das ICD finden Sie unter:
www.dimdi.de
Durch die Beschränkung auf die
hirnorganische Verursachung werden die neuropsychologischen Störungen
abgegrenzt von Störungen, die eine andere Ursache haben (psychiatrische
Störungen, neurotische Störungen). Hirnschädigungen haben verschiedene
Entstehungsursachen (Ätiologien) von denen die wichtigsten weiter unten
beschrieben wurden. (s. u. Entstehungsursachen von Hirnschädigungen).
Schädigungen des Gehirns sind in den jüngeren und mittleren Altersabschnitten
meist durch Unfälle, Entzündungen und Tumore verursacht, während sie in den
höheren Altersbereichen häufig mit Erkrankungen der Blutgefäße einhergehen, die
zum (Gehirn-) Schlaganfall oder zu Blutungen im Gehirn führen können. Nach
einer Hirnschädigung weisen die Patienten Störungen in einer oder in mehreren
Hirnfunktionen auf.
Folgende Störungen werden besprochen:
1. Gedächtnisstörungen (Amnesien)
2. Arbeitsgedächtnisstörungen
3. Aufmerksamkeitsstörungen
4. Exekutive Störungen
5. Zerebrale Sprachstörungen (Aphasien)
6. Apraktische Störungen (Apraxien)
7. Neglect-Syndrom
8. Zerebrale Sehstörungen
1. Gedächtnisstörungen (Amnesien)
Nach heutigem Verständnis handelt es sich beim Gedächtnis nicht um eine
einheitliche Funktion, sondern es werden verschieden "Gedächtnisse"
voneinander unterschieden, die auch einzeln durch eine Hirnschädigung gestört
werden können.
Die wesentliche Unterscheidung
besteht darin, dass zwischen bewusstseinsfähigen Inhalten (deklaratives oder
explizites Gedächtnis) und solchen Inhalten unterschieden wird, die nicht in
unser Bewusstsein gelangen (nicht-deklaratives oder implizites Gedächtnis).
Unter bewusstseinsfähig versteht man
alles, was sprachlich abgefasst ist oder sich potentiell sprachlich fassen
lässt. Hierzu gehören sprachliche Inhalte, Wissen (semantisches Gedächtnis),
Wörter aber auch visuelle Erinnerungen an Gebäude, Landschaften oder Menschen
und selbsterlebte Ereignisse (episodisches Gedächtnis), die aus unserer
Vorstellung heraus sprachlich beschrieben werden können.
Die nicht-deklarativen Inhalte sind
dagegen sprachfern und unbeschreibbar (z. B. Wie hält man auf dem Fahrrad das
Gleichgewicht?) und doch sind sie Bestandteil unseres langfristigen
Gedächtnisses. Hierzu gehören hauptsächlich motorische und sensorische
Fertigkeiten die wir oft schon früh gelernt haben und tausendfach eingeübt
wurden. Es sind diese Dinge die wir "einfach" können, auch wenn wir
sie mal längere Zeit nicht ausüben, so "erinnert" sich unser Körper
schnell wieder an sie. Solche Inhalte sind Fertigkeiten wie Gehen, Schaukeln,
Fahrradfahrern, Schwimmen oder Tanzen. Die Patienten die zur
neuropsychologischen Therapie kommen haben Stöungen des deklarativen
Gedächtnisses. Störungen der nicht-deklarativen Inhalte können z. B. im
Zusammenhang mit einer Parkinson Erkrankung vorkommen.
Patienten mit deklarativen
Gedächtnisstörungen können Schwierigkeiten damit haben, neue Gedächtnisinhalte
zu bilden und diese längerfristig zu stabilisieren (anterograde, nach vorn
gerichtete Störung). Bereits ab einer Behaltensspanne von einer Minute
sprechen die Neuropsychologen von einer Langzeitgedächtnisbildung. Im
Extremfall können dann solche Inhalte bereits nach Minuten nicht mehr im
Langzeitgedächtnis zur Verfügung stehen. Insbesondere nach einem Schädelhirntrauma
kommt es vor, dass auch eine rückwärtsgewandte (retrograde) Gedächtnisstörung
entsteht. Die Patienten können dann alles was kurz vor dem Unfall passierte
(Tage, Wochen, Monate) nicht mehr erinnern. Aber selbst wenn ein Patient eine
völlige globale Amnesie hat, und nichts mehr Neues behalten kann, so
funktioniert doch sein nicht-deklaratives Gedächtnis noch: er könnte z. B. beim
Schlittschuhlaufen neue Figuren erlernen und diese auch langfristig
"behalten" - auch wenn er sich nicht daran erinnern könnte, dass er
diese jemals in einem Training erlernt hat.
2. Arbeitsgedächtnisstörungen
Bei den Gedächtnisstörungen wurde
bereits das deklarative (explizite) und das nicht-deklarative (implizite)
Gedächtnis unterschieden. Wie dort dargestellt wurde, haben die Patienten die
mit Gedächtnisstörungen zur Behandlung kommen praktisch immer Störungen des
deklarativen (bewusstseinsfähigen) Gedächtnisses. Dabei nimmt der
Behaltensbereich von unterhalb einer Minute eine besondere Stellung ein.
Dieser Behaltensbereich kann
einerseits selektiv gestört werden und andererseits aber auch selbst bei
schweren Amnesien gut erhalten sein, da er biologisch durch andere Prinzipien
als die Langzeitgedächtnisbildung realisiert wird. In diesem Behaltensbereich
befinden sich die Inhalte, die uns in einem bestimmten Moment gerade bewusst
sind. Gedanken, Ideen, Einfälle sowie neue gedankliche Zusammenhänge etablieren
sich in diesem universellen Zwischenspeicher den man Arbeitsgedächtnis nennt. Ebenso
gelangen Erinnerungen an ähnliche Sachverhalte oder Erlebnisse aus dem
Langzeitgedächtnis zunächst ins Arbeitsgedächtnis und werden uns dadurch
bewusst.
Im Vergleich zu unserem riesigen
Langzeitgedächtnisspeicher (neuronale Netze) ist die Kapazität des
Arbeitsgedächtnisses äußerst gering. Häufig sind es nicht mehr als 7
verschiedene Einheiten die darin Platz haben. Gerade genug für die Ziffern
einer Telefonnummer oder für eine kurze Einkaufsliste. Dafür kann man aber mit
den Inhalten im Arbeitsgedächtnis arbeiten, man kann sie neu kombinieren,
ordnen usw. Neue aktuelle Erfahrungen können so bewusst mit den Erfahrungen
aus dem Langzeitgeächtnis im Arbeitsgedächtnis zusammen gebracht werden. Neue
Lösungen für ein Problem, eine gute Idee oder sogar eine Erleuchtung findet
immer im Arbeitsgedächtnis statt. Mit dem Arbeitsgedächtnis bekommt unser
Langzeitgedächtnis ein wunderbares Instrument zur Verfügung gestellt mit dem
wir denken und kommunizieren können und das uns bewusstseinsfähig macht.
Patienten mit Störungen des
Arbeitsgedächtnisses haben meistens eine verkürzte Zahlenmerkspanne. Sie können
sich häufig nur 4 oder weniger Zahlen merken. Die Einengung des
Arbeitsgedächtnisses wirkt sich nachteilig auf alle höheren geistigen
Tätigkeiten aus. Insbesondere leiden das Problemlösen und die Handlungsplanung
darunter. In schweren Fällen haben die Patienten sogar Schwierigkeiten Sprache
oder Meinungen eines anderen zu verstehen (kognitive Dysphasien). Ebenso können
sie dadurch unfähig sein eigene Gedanken so auszudrücken, dass der Zuhörer sie
verstehen kann. Häufig liegen bei Störungen des Arbeitsgedächtnisses
ausgedehnte Schädigungen der Hirnrinde der Frontallappen vor.
3. Aufmerksamkeitsstörungen
Was mit dem Begriff
"Aufmerksamkeit" gemeint ist versteht man vielleicht am besten, wenn
man ihm dem Begriff des "Gedächtnisses" entgegen setzt.
Gedächtnisinhalte sind in unserem
Gehirn durch Netze von verknüpften Nervenzellen in unserer Hirnrinde
repräsentiert. Der "Gedächtnisspeicher" ist also tatsächlich räumlich
über die Hirnrinde verteilt. Während also das Gedächtnis als
struktural-räumlicher Aspekt des Gehirns betrachtet werden kann, lässt sich
Aufmerksamkeit als sein koordinierender und aktivierender Aspekt verstehen.
Aufmerksamkeit umfasst den Grad (=Aktiviertheit) und die Art der
"Inbetriebnahme" des Gehirns, also welche neuronalen Netze aktiviert
bzw. angesprochen (=Selektivität) werden und in welcher Reihenfolge.
Physiologisch kann man
Aufmerksamkeit als die momentane Menge von Nervenimpulsen verstehen, die auf
die Hirnrinde einströmen. Je größer dieser Zustrom ist, desto größer ist die
Aktivierung und desto wacher ist jemand. Ohne ein bestimmtes Mindestmaß an
Aktiviertheit sind Bewusstsein und gedankliche Leistungen nicht möglich.
Reduziert sich der Zustrom, so werden wir schläfrig und unsere Reaktionen und
gedanklichen Abläufe werden langsamer. Sinkt der Zustrom unter ein bestimmtes
Mindestmaß ab werden wir bewusstlos und fallen schließlich in ein Koma. Aufmerksamkeit
umfasst die Regulationsprozesse die zur Änderung der Funktionsbereitschaft des
Gehirns führen wie "aufwachen" und "abschalten".
Bewusstsein ist abhängig davon, ob
durch die Aktivierung der Hirnrinde ein ausreichendes Arbeitsgedächtnis
entsteht. Bewusstsein ist somit eng mit dem Kurzzeit- u. Arbeitsgedächtnis und
der kontrollierten (=bewusst gelenkten) Aufmerksamkeit verbunden. Bewusstseinsinhalte
sind abhängig vom Anteil und der Abfolge der aktivierten assoziativen Netze.
Neben der Wachheitsregulation muss
auch noch geregelt werden, auf was wir aufmerksam sind, worauf wir unsere
Aufmerksamkeit lenken. Ziele unserer Aufmerksamkeit können bestimmte Orte in
unserer räumlichen Umgebung aber auch gedankliche Prozesse in unserem
Bewusstsein sein.
Patienten mit
Aufmerksamkeitsstörungen sind häufig verlangsamt, sie sind leicht ablenkbar und
ermüden schneller. Es gelingt ihnen schlecht auf die wichtigen Dinge einer
Aufgabe zu achten. Die Einschätzung von Aufmerksamkeitsstörungen kann mit den
Methoden der Verhaltensbeobachtung, mit Reaktionsaufgaben oder durch Fragebogen
erfolgen. Die einzelnen Aufmerksamkeitskomponenten erfordern eine spezifische
Behandlung.
4. Störungen der exekutiven Funktionen
Zum Verhaltensbereich der exekutiven
Funktionen gehört die Fähigkeit gedanklich Handlungspläne zu entwerfen, sie zu
modifizieren und ihre Effektivität zu bewerten. Auch die Fähigkeit anhand
sprachlicher Benennungen Begriffe zu bilden und eine zutreffendes Verständnis
des bezeichneten Objektes zu erzeugen gehört dazu. Schon um eine einfache
Aufforderung befolgen zu können sind exekutive Funktionen erforderlich. Nehmen
wir z. B. den Satz "Zeigen sie den großen grünen Kreis". Hier muss
der Patient gedanklich die vorhandenen Objekte nach der Größe und gleichzeitig nach
ihrer Farbigkeit beurteilen-
Um Probleme lösen zu können müssen
wir aus unserem Langzeitgedächtnis relevantes Wissen für die Problemlösungen
aktivieren und zusammenführen aber darüber hinaus die bereits vorhandenen
Erfahrungen neu kombinieren um neue Einfälle zu erzeugen. Gedankliche
Flexibilität, Umstellfähigkeit, logisches Schlussfolgern und Kreativität
unterstützen das Problemlösen ebenfalls. Eine Einengung des
Arbeitsgedächtnisses wirkt sich dabei besonders nachteilig auf das Problemlösen
und die Handlungsplanung aus.
Patienten mit Störungen der
exekutiven Funktionen sind strukturierungsschwach. Sie können die zur Verfügung
stehenden Mittel nicht so einsetzen, dass sie zur geforderten Zielerreichung
kommen. Sie wirken umständlich und können oft auch sprachlich ihre
Mitteilungsabsichten nicht auf den Punkt bringen.
Die Beurteilung der Intaktheit dieses
Verhaltensbereiches erfolgt meist qualiativ durch ein breites Spektrum
verschiedener Aufgaben, da messende psychometrische Verfahren noch nicht zu
allen Aspekten vorliegen. Die Behandlung setzt meistens zunächst an
naheliegenden Problemen im Alltag an.
5. Zerebrale Sprachstörungen (Aphasien)
Eine Aphasie ist eine erworbene
Störung in der Verfügbarkeit von Sprach- und Kommunikationsfunktionen, die zu
chronischen Defiziten in der Sprachkompetenz des Betroffenen führt. Meist sind
es ischämische Infarkte, Blutungen (hämorrhagische Infarkte), Tumore oder
Schädel-Hirn-Traumata die zu einer Aphasien führen. Weil die zentrale
Sprachkompetenz betroffen ist, wirkt sich eine Aphasie mehr oder weniger in
allen Sprachmodalitäten aus und berührt dadurch auch sämtliche
Kommunikationskanäle (Sprechen, Schreiben, Verstehen, Lesen, Meinen, Zeichen
geben, Zeichen verstehen usw.). Die Patienten haben Schwierigkeiten, ihre
Gedanken in Worte zu fassen. Sie können oft keine richtigen Sätze mehr bilden -
sowohl beim Sprechen als auch beim Schreiben. Sie können die Sprache der
anderen oft nicht verstehen und bemerken manchmal ihre eigenen Sprachstörungen
nicht.
Aphasien werden klinisch in die
nachfolgenden 4 Hauptsyndrome eingeteilt:
Broca Aphasie (große Sprachanstrengung, geringe
Sprachproduktion, gestörter Satzbau, gestörter sprachlicher Ausdruck, gestörte
Sprachexpression).
Wernicke Aphasie (geringe Sprechanstrengung,
flüssige aber oft unverstädliche Sprachproduktion, Störungen im
Sprachverständnis, eingeschränkte Wahrnehmung der eigenen Sprachstörungen,
gestörte Sprachrezeption).
Amnestische Aphasie (leichteste Form der Aphasie,
häufig nur noch eine gestörte Wortfindung, bei ansonsten guter Sprachproduktion
und gutem Sprachverständnis, tritt meistens als Restsymptom einer Aphasie auf).
Globale Aphasie (Störung sowohl der expressiven als
auch der rezeptiven Sprachfunktionen, schwerste Form der Aphasie).
Die Ausfälle einer Aphasie lassen
sich jedoch nicht auf die Sprache allein beschränken sondern beziehen mehr oder
weniger auch kognitive Funktionen mit ein, die die gemeinsamen Grundlagen von
Sprache und Denken bilden (Begriffsbildung, konzeptuelles Denken, Arbeitsgedächtnis).
Patienten können somit nicht nur Defizite in der Kommunikation ihrer Absichten
und Meinungen haben sondern sie weisen auch Einschränkungen auf, in dem was
ihnen zu meinen möglich ist. Solche Defizite werden vom Patienten nicht selbst
erlebt und kommuniziert, sie können jedoch in ihrem nicht-sprachlichen und
nicht-kommunikativen Verhalten bei der Begriffsbildung und Klassifizieren
beobachtet werden.
Alle Aphasie-Patienten haben daher
einige kognitive Schwierigkeiten gemeinsam. So ist generell das Erfassen von
einzelnen Teilen, Eigenschaften oder Funktionen eines Ganzen erschwert (Störung
der Selektivität und der konzeptuellen Fokusierung und Spezifizierung). Das
Erkennen von klassifikatorischen Beziehungen, der Über- und Unterordnung von
Begriffen, der Klasseninklusion und der Verknüpfung von klassenbildenden
Eigenschaften fällt ihnen schwer. Sie können konnotative Beziehungen schwerer
erkennen. Damit sind Nebenbedeutungen, analoge oder metaphorische Bedeutungen
gemeint.
Aphasien entstehen meist nach
Schädigungen der linken Hirnhälfte, weil dort bei den meisten Menschen die
Sprachfunktionen angesiedelt sind.
6. Apraktische Störungen (Apraxien)
Apraxien sind noch schlecht
verstandene Störungen im Nachvollzug von einfachen Bewegungen und komplexen sinnvollen
Handlungssequenzen. Es sind Syndrome der linken Hemisphäre, betreffen aber die
Extremitäten beider Seiten. Die Störungen sind nicht auf motorische Störungen
oder auf Störungen des Sprachverständnisses zurückzuführen.
Geprüft werden die Bewegungen durch
sprachliche Aufforderung und durch Imitation, mit semantisch gehaltvollen
(Pantomime) oder semantisch leeren (abstrakten) Bewegungen der Gliedmaßen
(Gliedmaßenapraxie). Eine Apraxie kann sich auch auf Sprechbewegungen beziehen
(Sprechapraxie, buccofaciale Apraxie). Neben der Gliedmaßenapraxie gibt es eine
Reihe von Apraxien, die nicht unter die obige Definition zu subsumieren sind.
Es sind ausschließlich an der Phänomenologie orientierte Störungen mit
heterogenen Läsionsorten.
Gliedkinetische Apraxie, Unimodale
Apraxie, Magnetische Apraxie, Gangapraxie, Axiale Apraxien, Konstruktive
Apraxie, Ankleide Apraxie
Nachfolgend wird nur auf Aspekte der
Gliedmaßenapraxie eingegangen die sich als Störungen in 3 Bereichen zeigen
kann:
a) in Störungen der Nachahmung und
im Imitieren von Gesten
b) in Störungen bei der Pantomime,
der Ausführung bedeutungsvoller Gesten nach Aufforderung (früher: ideomotorische Apraxie, ohne Objekt)
c) in Störungen im Gebrauch von
realen Werkzeugen und Objekten (früher: ideatorische Apraxie, am konkreten
Objekt)
Patienten mit Störungen des
Gebrauchs von Werkzeugen und Objekten (früher: ideatorischen Apraxie) können im
lebenspraktischen Alltag hilflos werden. Patienten die nur Störungen der
Pantomime oder der Nachahmung aufweisen bleiben alltagspraktisch kompetent, da
ihnen der reale Gebrauch der Gegenstönde normal gelingt.
Eine (bewusste) Pantomime ist aus
verschiedenen Gründen niemals die "identische Bewegung" nur ohne
Objekt, sondern sie stützt sich auf die expliziten Aspekte der Bewegung, das
Bewegungswissen. Eine Pantomime wird von manchen Autoren als eine Kunstform
angesehen. Jedenfalls ist sie eine komplexe Kommunikation von Wissen über den
eigenen Körper, der Auseinandersetzung mit dem Objekt, den pointierten,
"charakterisierenden" Gebrauch des Objekts unter ständiger
Berücksichtigung des Beobachters. Sie "erzählt" vom
"körperlichen in der Welt sein" sie ist deklarativ, explizit, sehr
sprach- und bewusstseinsnahe. Eine Störung der Pantomime tritt daher auch
meistens im Zusammenhang mit zerebralen Sprachstörungen (Aphasien) auf, bei
denen dieses Bewegungswissen nicht mehr abgerufen werden kann oder durch eine
Läsion verloren gegangen ist.
Wissen über den Körper vs.
Perzeptuelle Analyse
Die Bedeutung des expliziten Wissen
über den Körper wird deutlich aus der Gegenüberstellung der Störungen von links
und rechtsseitig hirngeschädigten Patienten (L-BD vs. R-BD, Brain Damaged). Bei
der Untersuchung der Nachahmung von abstrakten Gesten haben sich zwei
Aufgabentypen herausgebildet bei denen man a) eine Hand in eine bestimmte
Position zu einem Körperteil bringen muss und b) Fingerstellungen einer Hand
nachahmen soll. Dabei hat sich gezeigt, dass R-BD Patienten deutliche
Schwierigkeiten mit der perzeptuellen Analyse haben (Fingerstellungen) während
L-BD Patienten zusätzlich das Wissen über den Körper nicht abrufen können
(Hand-Körper-Stellungen).
In einer Studie wurde auch das
Objekt-Zeichnen aus dem Gedächtnis einbezogen. Während Objekt-Zeichnungen aus
dem Gedächtnis gleichermaßen bei L-BD und R-BD gestört waren, zeigten sich nur
die L-BD Patienten bei der Pantomime beeinträchtigt. Die Pantomime wurde
zwischen verbalen und non-verbalen Test eingeordnet. Die Autoren glauben, dass
der selektive Zugriff auf bestimmte Eigenschaften von Objekten und Aktionen bei
den L-BD Patienten gestört sei.
Um Störungen bei mehrschrittigen
Aktionen oder bei der Bedienung technischer Geräte erfassen zu können, müssen
die Probanden Handlungen mit konkreten Objekten oder an Geräten ausführen
(Kaffeemaschine bedienen, Batteriewechsel am Kassettenrecorder, Kerze mit
Feuerzeug anzünden usw.). Solche Störungen wurden früher als "ideatorische
Apraxien" bezeichnet. In einer Studie machten L-BD und R-BD aus
verschiedenen Gründen bei diesen Aufgaben etwa gleich viele Fehler (R-BD
Neglect bzw. Exploration, Aufmerksamkeit, Zielverfolgung, L-BD mit Aphasie
hatten apraktische Probleme und Probleme mit dem Aufgabenverständnis).
Neben der "Praxie" ist die
Wahrnehmung und die Repräsentation des eigenen Körpers für die Apraxie von
Bedeutung.
7.
Neglect-Syndrom
Ein Neglect-Syndrom ist dadurch
gekennzeichnet, dass ein Patient in seinem Verhalten und in seiner Wahrnehmung
eine Hinwendung nur zu einer Seite aufweist und gleichzeitig die andere Seite
vernachlässigt. Meistens entsteht die Störung nach Schädigungen der rechten
Hirnhälfte und die Patienten wenden sich der rechten Seite zu, während für die
linke Seite eine Vernachlässigung (Neglect) besteht. Sie verhalten sich als
habe die linke Seite aufgehört zu existieren. Sie nehmen von dort kaum etwas
wahr und lassen beim Abzeichnen oft diejenigen Elemente aus, die sich auf der
linken Seite einer Zeichnung befinden. Damit man von einem Neglect-Syndrom
sprechen kann, müssen dabei die primären (sensorischen, motorischen,
imaginativen) Funktionen intakt sein.
Der Begriff des
"Neglect-Syndroms" geht zurück auf den lateinischen Ursprung
"neglegere", was etwa "vernachlässigen" aber auch
"verachten" oder "gering schätzen" bedeutet. Ein Neglect
lässt sich also nicht als simples Auslassen von Stimuli fassen, sondern er
beinhaltet darüber hinaus eine umfassende seitenbezogene abnorme Konstruktion
und Konzeptualisierung der gesamten Welt eines Patienten. Hinzu kommen
individuelle, (=idiosynkratische) und erfundene (=konfabulatorische) Ausgestaltungen,
auf die sich sein gesamtes Verhalten bezieht. Ein Neglect wirkt sich daher auch
auf seine inneren visuellen Vorstellungen aus. Diese Fehlkonstruktionen seiner
Welt bemerkt der Patient selbst kaum, was ein wesentliches Hindernis für die
gesamte Rehabilitation eines Neglect-Patienten darstellt. Die Voraussetzungen
zur Teilnahme am Straßenverkehr sind meistens nicht gegeben.
Ein Neglect-Syndrom ist eine
Störung, die sich in verschiedenen Sinnesmodalitäten zeigt (supramodale
Störung, Sehen, Hören, Riechen, Fühlen). Daneben zeigt sie sich auch im
Bewegungsverhalten, indem z. B. ein Arm nicht benutzt wird, obwohl keine
Lähmung vorliegt (motorischer Neglect). Ein Neglect-Syndrom beinhaltet auch
psychopathologische Auffälligkeiten. So sind Neglect-Patienten meistens
gleichgültig oder angesichts ihrer Betroffenheit zu positiv gestimmt. Sie haben
Schwierigkeiten ihre Situation richtig einzuschätzen und in den Kontext von
Beruf und Familie einzuordnen. Manchmal glauben sie, dass sie schon nächste
Woche wieder ihre alte Position einnehmen könnten.
8.
Zerebrale Sehstörungen
Sehen ist eine komplexe Leistung, an
der sensorische, motorische und attentionale Funktionen beteiligt sind. Sehen
ist verstehbar als ein Prozess, in dem eine visuelle Umgebung aufgrund der
Wahrnehmung von Strukturen im Licht konstruiert wird. Als Strukturierungen des
Lichts können auf einer basalen Ebene seine Helligkeit (Intensität), und seine
Wellenlänge (Farbigkeit) betrachtet werden. Diese elementaren Kategorien
organisieren sich auf einem mittleren Niveau zu Intensitäts-Übergängen
(Kontrasten) die das Sehen von Linien, Formen, Texturen und von Bewegungen
erlauben. Die Kombination der Leistungen stellen die höheren visuo-kognitiven
Leistungen dar, die in großem Umfang motorische und aufmerksamkeitsbezogene
Leistungen integrieren. So wird es uns möglich Objekte wahr zu nehmen, mehrere
Sehdinge zu einer Szene zu ordnen oder in einer visuelle Szenen Vordergrund und
Hintergrund zu unterscheiden. Schließlich können wir in der visuellen Szene -
die unser Gehirn konstruiert - uns verhalten. Wir können darin etwas suchen und
uns darin bewegen. Hirnschädigungen können diesen Konstruktionsprozess stören
oder verhindern.
Symptome nach Hirnschädigungen: Patienten mit Hirnschädigungen
berichten in Fragebögen oft über folgende Symptome: Doppelbilder, Lesestörungen
die nicht-sprachlich bedingt sind, anstoßen an Hindernissen (links oder
rechts), Übersehen von Personen, Hindernissen oder Fahrzeugen, Schwierigkeiten
sich in einer bekannten Umgebung zurechtzufinden, Verschwommensehen oder
Unscharfsehen, Blendgefühl oder Dunkelsehen, visuelle Reizerscheinungen. Solche
Berichte stimmen zu ca. 90% mit den später tatsächlich objektivierbaren
Störungen überein. Hinweise für eine zerebrale Sehstörung können also auch aus
Fragebögen erhoben werden.
Gesichtsfeld Störungen und
Gesichtsfeld Ausfälle sind nach
Hirnschädigungen die häufigsten Defizite. Man unterscheidet den vollständigen
Ausfall aller Sehfunktionen in einem Gesichtsfeldbereich (=Anopsie) von dem
Zustand, bei dem einige Sehfunktionen (z. B. Lichtwahrnehmung) noch erhalten
sind, während andere (z. B. Farbwahrnehmung) fehlen (=Amblyopie). Aufgrund
neuronaler Rest-Aktivitäten können sich im anopen Bereich photopische
Pseudo-Haluzinationen ereignen. Eine zerebrale Anopsie setzt also nicht voraus,
dass alles Gewebe in entsprechenden Hirnarealen völlig zerstört worden ist.
Vielmehr kommt hier der systemische Charakter des Sehens zum Ausdruck, der ab
einer bestimmten System-Desintegration völlig zusammenbricht.
Gesichtsfeld-Defekte können sich
nach Schädigungen der Sehbahn oder des visuellen Kortex einstellen. Abhängig
vom Ort der Schädigung können typische Ausfallmuster entstehen. Bei
Schädigungen nach der Sehnerven-Kreuzung entstehen immer auf beiden Augen
homonyme (gleichsinnige) GF-Defekte. Je nach Ausmaß können sie Teile, Viertel
(Quadranten) oder Hälften (Hemi-) des Gesichtsfeldes betreffen. Entsprechende
Bezeichnungen sind z. B homonyme Hemianopsie (hH) nach rechts oder untere
Quadranten-Anopsie nach links. Bei homonymen GF Defekten (z. B linkes GF des
linken Auges und linkes GF des rechten Auges) sind die Ausfallsbereiche nicht
immer völlig deckungsgleich. Je näher die verursachende Läsion dem Kortex ist,
desto besser stimmen sie in Form und Größe überein.
Auswirkungen von GF-Defekten: Die Retina kann in zwei funktionelle
Teilsysteme gegliedert werden: Das periphere Sehen und das foveale Sehen (ca
1-2 Grad). Das periphere Sehen vermittelt uns nur sehr unscharf die Orte in
unserem Gesichtsfeld, an denen wir evtl. interessierende Informationen erhalten
können. Aber nur das foveale Sehen kann tatsächlich erfassen, was es an den
interessierenden Orten zu sehen gibt. Das periphere Sehen ist gekennzeichnet
durch visuelle Aufmerksamkeitsprozesse, die im Gesichtsfeld interessante
Regionen ausfindig machen, noch bevor das blick-motorische System das scharfe
foveale Analyse-System dorthin gewendet hat (verdeckte Aufmerksamkeitsverlagerung).
Foveale und periphere Sehleistungen interagieren also in der visuellen
Exploration der Umgebung. Diese Interaktion wird zwangsläufig gestört, wenn ein
GF-Defekt vorliegt. Er bringt die bisherige routinierte Zusammenarbeit ins
Stolpern und erfordert in der Rehabilitation blick-motorische und attentionale
Neuanpassungen an das Restgesichtsfeld. Grenzt der Gesichtsfeldausfall nahe an
die Mittelinie (unter 4 Grad), dann nimmt auch die Lesegeschwindigkeit auf ca.
ein Drittel ab (=hemianope Lesestörung). Bei der hL nach links bestehen
Schwierigkeiten die Zeilenanfänge zu finden, bei der hL nach rechts können
Wortanfänge und Wortteile nicht mehr normal sakkadiert abgetastet werden.
B Ätiologien
von Hirnschädigungen
(Autor: Dr. Heinz Hättig)
Nervenzellen sind hochspezialisierte Zellen und können auf vielfältige Weise
geschädigt werden. Insbesondere reagieren sie empfindlich auf Versorgungsengpässe
und Membranschädigungen.
Nervenzellen werden nach ihrer
Entstehung nicht wie Hautzellen innerhalb weniger Wochen wieder abgebaut und
erneuert, sondern jede einzelne Zelle soll ihre Funktion jahrzehnte- oder
lebenslang ausüben. Dadurch können sich in einer Nervenzelle schädigende
Substanzen über lange Zeiten akkumulieren. Von allen Zelltypen des Körpers wird
in ihnen der größte Anteil aller Gene einmal aktiviert. Dadurch können sie eine
große Menge von biologischen Substanzen herstellen die sie für ihre Funktionen
benötigen. Die Vielzahl und die Komplexität der in einer Nervenzelle
ablaufenden Stoffwechselprozesse sind energetisch sehr aufwendig. Sie haben
daher einen extrem hohen Energiebedarf und verfügen selbst jedoch nicht über
Energiereserven.
Obwohl das Gehirn nur ca. 2% der
Körpermasse ausmacht, verbraucht es ca. 20% der gesamten Energie des Körpers.
Dieser hohe Energieverbrauch entsteht hauptsächlich im Zusammenhang mit dem
Membranpotential von Nervenzellen.
Nervenzellen können eine wandernde
Depolarisierung des Membranpotentials - das Aktionspotential - auf ihren Axonen
ausbilden. Das Aktionspotential selbst ist energetisch passiv - wie das
Umkippen von Dominosteinen - und findet eher selten statt. Damit aber ein
Aktionspotential - wann immer es erforderlich ist - schnell entstehen kann,
muss das Membranpotential unter sehr großem Energieaufwand ständig aktiv
aufrecht bzw. in Bereitschaft gehalten werden (= Ionenpumpe). Dies entspricht
dem Aufrichten und dem Aufgerichtet-Halten der Dominosteine. Obwohl auch andere
Zellen (z. B. Muskelzellen) ein Membranpotential aufweisen, spielt das
Membranpotential bei den Nervenzellen eine zentrale Rolle für die Fortleitung
des Aktionspotentials. Deshalb benötigen Nervenzellen fast die gleiche Menge an
Energie, ob sie nun Aktionspotentiale ausbilden oder nicht. Jede Blockade der
Energiezufuhr zu den Nervenzellen führt sofort zu einem Zusammenbruch des
Membranpotentials und zur Zerstörung der Zellmembran und mittelbar zur
Zerstörung der Zelle. Ähnlich empfindlich reagieren Nervenzellen auf eine
Beschädigung der Zellmembran aufgrund anderer Ursachen.
Nachfolgend werden 9 verschieden
Ursachen von Hirnschädigungen besprochen.
1. dysplastisch durch eine Fehlbildung, bzw. Anlagestörung
2. vaskulär durch Gefäßerkrankungen, Unterversorgung mit Blut
3. traumatisch durch eine Verwundung, SHT
4. neoplastisch durch eine Neubildung
5. hypoxisch durch Sauerstoffmangel
6. entzündlich durch Viren, Parasiten
7. dementiell durch den Alzheimer Prozess
8. toxisch durch Vergiftung
9. hypoglykämisch durch Unterzuckerung
In einem umfassenden
Krankheitsprozess sind die Ätiologien nicht unabhängig voneinander sondern
können in komplexer Weise miteinander interagieren und sich in ihrer
schädigenden Wirkung nacheinander kaskadenartig ablösen. Wenn ein Patient im
Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall ein Schädel-Hirn-Trauma erleidet so
werden Neurone zunächst unmittelbar mechanisch geschädigt (traumatisch).
Daneben kommt es dabei zu Einblutungen in das Gehirngewebe (toxisch -
vaskulär). Bereits nach Stunden schwillt das Gehirn stark an, so dass Hirndruck
entsteht und eine Minderperfusion vorliegt (vaskulär - hypoxisch -
hypoglykämisch).
1. Dysplastische Schädigungen
Dysplastische Schädigungen sind
generalisierte oder regionale Störungen im zellulären Aufbau des Gehirns,
insbesondere der Hirnrinde. Es sind Störungen in den Primärprozessen der
(epigenetischen) Entwicklung (Zellteilung, Zellwanderung, Zellverbindung). Sie
liegen bereits vorgeburtlich vor.
Bei den Störungen in den
Primärprozessen handelt es sich um Störungen der Proliferation (Zellteilung,
Zellvermehrung), der Migration (Zellwanderung), der Zellaggregation
(Aneinanderlagerung) und der Apoptose (selektiver Zelltod, Zellabbau).
Seltener kommen Störungen der
Zellentwicklung (Histogenese) vor. Eine gewisse Sonderstellung nehmen die
Störungen in der Reifung der Markscheide ein (=Myelinisierung), da hier kein
Primärprozess betroffen ist.
Dysplastische Schädigungen können
jahrelang klinisch "stumm" sein und werden häufig erst im
Zusammenhang mit der Diagnostik nach einem ersten epileptischen Anfall
entdeckt. Auch ohne Epilepsien können sie - meist unbekannterweise -
umschriebene Entwicklungsstörungen verursachen (Lese-Rechtschreibschwäche,
Artikulationsstörungen u. a.).
2. Vaskuläre Hirnschädigungen
Vaskuläre Hirnschädigungen sind
Störungen der arteriellen Blutversorgung des Hirngewebes aufgrund von
Blutgefäßerkrankungen. Sowohl die großen als auch die kleinen Blutgefäße
(Mikroangiopathie) können betroffen sein. Im jeweils betroffenen
Versorgungsgebiet kommt es zum Neuronenuntergang sobald ein Mindestwert des
Energieumsatzes unterschritten wird (Tätigkeitsumsatz 100%, Bereitschaftsumsatz
50%, Erhaltungsumsatz 15%).
Bei den großen Gefäßen unterscheidet
man 2 Infarkt-Arten:
a) Ischämische Infarkte ( zu wenig
Blut): dabei handelt es sich um einen vollständigen oder teilweisen Verschluss
einzelner Arterien der zu einem Territorial Infarkt führt. Verschlüsse können -
wie ein Warnzeichen, noch bevor es zu bleibenden Ausfällen kommt - kurzzeitig
und reversibel sein (transitorisch ischämische Attacke, TIA). In Abhängigkeit
von der Schnelligkeit mit der sich die Durchgängigkeit des betroffenen Gefäßes
wieder herstellt (=Reperfusion), sind auch die umschriebenen Funktionsausfälle
reversibel. Die Gefäße können sich aufgrund erhöhter Blutfettwerte allmählich
zusetzen oder aber relativ plötzlich durch einen Pfropfen (Trombus) verstopft
werden (=Trombo-Embolie). Solche Tromben können auch außerhalb des Gehirns
gebildet werden (z. B. im Herzen). Sobald sie sich dort ablösen werden sie mit
dem Blutstrom ins Gehirn gespült.
b) Hämorrhagische Infarkte ( zu viel
Blut): Dabei handelt es sich oft um arterielle Blutungen, die unter Druck
stehen (Massenblutung, Gefäß-Ruptur). Dabei kann das im Strahl austretende Blut
bereits mechanisch das Hirngewebe schädigen (Wühl-Blutungen). Daneben wirkt der
direkte Kontakt des Blutes toxisch, wie ein Gift auf das Hirngewebe. Werden
Massenblutungen überlebt, liegen meist ausgedehnte und schwere Hirnschädigungen
vor. Die subarachnoidale Blutung z. B. infolge einer Aneurysma-Blutung ist oft eine
venöse Blutung. Hier hat das Blut zwar keinen "direkten" Kontakt mit
dem Hirngewebe, da noch eine dünne Lage der Arachnoidea dazwischen ist.
Trotzdem kommen auch hier oft neuropsychologische Ausfälle vor.
3. Traumatische Hirnschädigungen
Bei Schädigungen in der Folge von
Gewalteinwirkung auf das Gehirn lassen sich mehrere Schädigungsmechanismen
unterscheiden. Man unterscheidet ein offenes und ein gedecktes
Schädel-Hirn-Trauma (SHT), mit und ohne Blutungen, wobei dies lediglich
Beschreibungen sind, die nichts über die schwere des SHTs aussagen.
Im Zusammenhang mit dem SHT kommt es
im Gehirn zu Scher-Kräften (Quer-Kräften) insbesondere an den langen Bahnen und
Faserbündeln. Da die einzelnen Hirnteile unterschiedliche Massen haben,
reagieren sie entsprechend unterschiedlich auf die Beschleunigungs- bzw.
Verzögerungskräfte und es entstehen Spannungen zwischen den Hirnteilen. Diese
mechanische Kräfte schädigen die Membran. Daneben durchlaufen bei einem SHT
Druckwellen den Schädel und es kommt zu plötzlichen Druckdifferenzen und
Unterdruck-Zonen. Dabei können nach einer Theorie die im Blut gelösten Blutgase
plötzlich austreten und das Gehirn schädigen. Der Vorgang ist vergleichbar dem
Öffnen einer Mineralwasserflasche, wo bei Druckentlastung die im Wasser
gespeicherte Kohlensäure plötzlich ausperlt. Insbesondere die Hirnschädigungen
die gegenüber dem Auftreffpunkt liegen (Contre-Coup Schädigungen) werden durch
solche Mechanismen erklärt.
Hirnschädigungen die durch ein SHT
entstanden sind weisen daher meist eine Bipolarität auf (Coup und Contre-Coup).
War der Auftreffpunkt seitlich so liegt praktisch immer eine Bilateralität der
Schädigungen vor. Deshalb ist bei den Patienten oft die Funktionsübernahme
(Kompensation) durch die andere Hirnhälfte behindert (kontralaterale
Kompensation). In diesem Sinne sind bei einem schweren SHT immer beide
Hirnhälften mehr oder weniger stark betroffen. Neuropsychologische Störungen
aufgrund von SHT Schädigungen sind daher allgemein schwerer zu rehabilitieren.
Im Zusammenhang mit schweren SHTs
kommt es häufig zu weiteren intensivmedizinischen Komplikationen wie
Hirnschwellung, Raumforderung, Hirndruck, weitere Infarkte, weitere Schwellung
und Einklemmung.
4. Neoplastische Hirnschädigung
Infolge einer ungeregelten
Zellvermehrung (Proliferation) entstehen Geschwulste bzw. Tumore. Da manche
Tumore das Hirngewebe stärker infiltrieren haben sie manchmal nur geringe
Raumforderungen. Andere Tumore schädigen das Gehirn gerade durch die
Raumforderung. Durch das Tumorwachstum kann es zu Hirndruck und Infarkten
kommen. Weitere Schädigungen können durch die radiologische und chirurgische
Behandlung der Tumore entstehen.
Die Benennung erfolgt meist nach dem
Zell-Typ der tumorös entartet ist. z. B.: AstroZyten (Astrozytom), GliaZellen
(Gliom), OligoDentriten (Oligodentrozytom), Meningen (Meningeom). Den Tumoren
wird in Abhängigkeit ihrer Wachstumsgeschwindigkeit eine bestimmte
Gefährlichkeit (Malignität) zugeordnet. Maligne Tumore schädigen die
Blut-Hirn-Schranke und nehmen deshalb Kontrastmittel auf.
Weiter wird unterschieden ob es sich
um hirneigenes Gewebe (hirneigener Tumor) oder um hirn-fremdes Gewebe handelt
(hirnfremder Tumor, Metastasen aus anderen Tumoren).
Tumore können bestimmte Stoffe
absondern die vom Immunsystem nicht mehr als körper-eigen erkannt werden und
den Körper selbst zu einer pathologischen Abwehr-Reaktionen veranlassen
(paraneoplastisches Syndrom).
5. Hypoxische / anoxische Hirnschädigung
Wird die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn
allmählich oder abrupt unterbrochen resultieren diffuse Hirn-Schädigungen. Meist ist ein respiratorischen Sauerstoffmangel die Ursache wie bei Ertrinken, Ersticken oder Erhängen. Ähnliche Auswirkungen hat ein Herzstillstand. Pro Minute Herzstillstand sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um 10%. D. h. nach 10 min liegen die Chancen bei Null. Auch nach einer erfolgreichen Reanimation liegen daher meist massive Hirnschäden vor.
Generell besteht eine hohe Empfindlichkeit der Neurone für Sauerstoffmangel. die resultierenden Schädigungen betreffen zwar das gesamte Gehirn, wirken sich aber gerade auf die besonders aktiven Regionen, die einen hohen Verbrauch haben, zuerst aus (Basalganglien, Hippocampus). Bei hypoxischen Phasen kommt es auch zu verteilten kleineren Einblutungen.
In milderen Fällen liegt in
bestimmten Regionen ein prozentualer Anteil geschädigter Neurone vor, der zu Muskelzuckungen (Myoklonien), Epilepsie und neuropsychologischen Funktionsstörungen führt.
Sind die Zelluntergänge sehr
ausgedehnt kommt es zu den üblichen nachfolgenden Komplikationen (erhöhter Hirndruck, verminderte Mikrozirkulation, Risiko für Infarkte).
6. Entzündliche Hirnschädigung
Bei entzündlichen Hirnschädigungen
erfolgt die Schädigung durch einen viralen oder bakteriellen Erreger, oder eine Autoimmunerkrankung (z. B. MS). Die Erreger schädigen dabei direkt das Hirngewebe oder sie wirken durch toxische Substanzen oder indem bestimmte Entwicklungsstadien eines Parasiten im Gehirn stattfinden (z.B. Zystizerkose).
Von einem Erreger kann das Gehirn
selbst (Enzephalitis) oder die Hirnhäute (Meningitis) betroffen sein. Für bestimmte Viren gibt es einen bevorzugten regionalen Befall im Gehirn sog. Prädilektionsstellen. Meist liegt bei Viren eine Bilateralität des Befalls vor, der schwer zu kompensierende Funktionsausfälle macht.
Ein parasitärer Befall kann saisonal
oder an das endemische Gebiet gebunden sein (FSE, Früh-Sommer-Enzephalitis, Zystizerkosen, Borrelien). Nach der Diagnose erfolgt eine antibiotische oder eine anti-virale Behandlung. Als Folgeschäden verbleiben evtl. Epilepsien und neuropsychologische Funktionsstörungen
7. Dementielle u. degenerative Hirnschädigung
Die Schädigungen erfolgen durch heterogene, häufig noch unbekannte Mechanismen, die zu einem Verlust von Nervenzellen führen (fehlgeleitete Apoptose? Mikro-Organismen?). Am intensivsten wurde der Alzheimer Prozess untersucht, bei dem ein bestimmtes Eiweißmolekül aus der Zellhülle (Membranprotein, Amyloid) an einer falschen Stelle durchtrennt wird, so dass die resultierenden Teilstücke fälschlicherweise eine Aktivierung der Immunabwehr auslösen. Dabei werden die Mikro-Gliazellen aktiviert die sich auf den betroffenen Zellen anhaften. Dies wiederum führt zu Verklumpungen (Plaques) und dem Absterben von Neuronen. Neuere Forschungen legen nahe, dass bei mehreren Demenzen die falsche Auffaltung von Eiweißketten (Proteine) eine Rolle spielt, die sich wie eine Kettenreaktion auf andere, noch normal gefaltete Proteine, überträgt und sich dadurch im Gehirn ausbreitet (Mechanismus der Prionenerkrankungen, Rinderwahnsinn, BSE, Creutzfeldt-Jakob Krankheit, Alzheimer, ALS, Parkinson).
Insgesamt sind ca. 120 dementielle Erkrankungen mit verschiedenen Entstehungsursachen bekannt.
In den meisten Fällen interagieren die häufigsten Prozesse miteinander und sind bei einem dementen Patienten gleichzeitig vorhanden: der Alzheimer-Prozess, die vaskuläre Demenz und die Bildung von Lewy Körper. Zu Beginn des dementiellen Prozesses finden sich im Gehirn regionale Schwerpunkte der Schäden, später liegt eine generalisierte Atrophie des Gehirns vor.
Bei einer Demenz muss immer das Gedächtnis und zusätzlich mindestens eine weitere neuropsychologische Funktion (Sprache, Aufmerksamkeit, Raumorientierung, Handlungsplanung) schwer betroffen sein.
8. Toxische Hirnschädigung
Bei einer toxischen Hirnschädigung erfolgt die Schädigung durch körperfremde oder körpereigene Stoffe. Es ergeben sich diffuse Schädigungen, mit regionalen Schwerpunkten je nachdem in welchem Ausmaß die Zellen die Substanzen aufgenommen haben. Wegen der Langlebigkeit der Neurone können Schwermetalle, oder sogenannte "Umweltgifte" sich über lange Zeit in den Neuronen ansammeln und erst dadurch ihre schädigende Wirkung entfalten.
Andere Substanzen wie der Alkohol
üben einerseits eine direkte neurotoxische Wirkung auf die Membran von Nervenzellen aus (diffuse, kortikale Atrophie und periphere Läsionen) und erzeugen aber langfristig indirekte Wirkungen wie Bluthochdruck, Lebererkrankungen, hepatotoxische Wirkung, Leber-Koma.
Alkohol vermindert die Blutgerinnung und es kommt zu vermehrten kleinen Blutungen die ihrerseits Hirnschäden bewirken können (Alk. KorskoffSyndrom)
9. Hypoglykämische Hirnschädigung
Fällt die Versorgung der Nervenzellen mit Zucker (Glukose) aus, kommt es zu Schädigungen durch Unterzuckerung. Häufig wir dieser Zustand auch durch eine - beabsichtigte oder unbeabsichtigte - Überdosierung von Insulin ausgelöst.
Ähnlich wie bei Hypoxie kommt es zu schweren diffusen Schädigungen, mit regionalen Schwerpunkten jedoch nicht zu den zusätzlichen Einblutungen. Meist sind die Patienten nicht mehr bewusstseinsfähig und sie verbleiben in einem persistierenden vegetativen Zustand (Wach-Koma)
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